Our good friend Hendrik Otremba (pictured here during his first and only attempt at stage-diving) wrote a lovely and comprehensive history of our band to accompany our digital reissues. We hope you enjoy the read.
[English version below]
Über sieben Jahre hinweg zeigten Ritual wie kaum eine andere Band ihrer Generation die Lebendigkeit von Hardcore in Deutschland und Europa. In der Intensität ihrer Musik war unmissverständlich zu hören, was das Spielen in einer Band aus Punks auch im neuen Jahrtausend noch bedeuten kann: ein klar empfundenes »Nein« an die Autoritäten und Zwänge, denen doch nie für immer zu entkommen ist, – und gleichzeitig ein leidenschaftliches Leben im
Wolfpack. Anders gesagt: ein Momentum der Jugend, der Freundschaft. Eine große Hand voll Releases weist heute auf lange Tage und Nächte in Proberäumen, Studios und den Bühnen Europas zurück: Die Band veröffentlichte drei Alben und drei 7“-Singles, spielte über 300 Konzerte in 19 Ländern und schuf sich auf diesen Wegen einen ureigenen Sound, der noch heute sehnsuchtsvoll erinnert wird. An eine Szene gerichtet, in der Vinyl nie ausgestorben war, und veröffentlicht in einer Zeit lange vor dem Streaming und der grenzenlosen Verfügbarkeit von Musik, haben es einige ihrer Releases nie auf die heute üblichen Vertriebswege geschafft. Das holt die Band jetzt gemeinsam mit ihrem alten Label
Blacktop Records nach. Anlass also, auf das Schaffen dieser Band zurückzuschauen ...
Noch grün hinter den Ohren beginnen vier Straight Edge-Kids im Ruhrgebiet Anfang der 2000er Jahre ihre gemeinsame Leidenschaft für 90er-Hardcore-Bands wie Unbroken, Snapcase, Refused und Chokehold in einer Band auszuleben, aus der dann im Sommer 2005 Ritual wird: An nur einem Tag wird die erste Single »One Foot in the Grave« in Köln aufgenommen, der man deutlich den Enthusiasmus der 17- und 18-Jährigen anhört. Ritual nehmen schnell Fahrt auf. Das erste Konzert, das die vier unter diesem Namen spielen, ist zugleich der Auftakt ihrer ersten Tour. Eine Befreiung: Die Enge, die das Aufwachsen in Recklinghausen bedeutet, ist aufgehoben. Die Tür nach draußen, in eine Szene, die regionale Grenzen verschwinden lässt, ist geöffnet.
Schon im Frühjahr 2006 nimmt die Band die erste LP auf: »Precious Times« entsteht im Blubox-Tonstudio in Troisdorf und wird live auf analogen Tonbändern aufgenommen. Eine kaputt scheppernde
Teenage Angst, der man anhört, dass sich da gerade in Form des ersten eigenen Albums ein Traum verwirklicht. Davon zeugt auch der Titel, der eher an einen Youth Crew-Pathos gemahnt, der der Band ansonsten recht fremd geblieben ist. Ohnehin erleben sie die Partizipation in einer komplexen Szene stets als Vexierspiel: Wollen sich die Jungen mit der Tough Guy-Szene des Ruhrpotts etwa nicht gemeinmachen, lassen die Moshparts schon hier die violent dancer vor Neid erblassen. Den Respekt nehmen sie mit Kusshand. Ein jeder versteht: Diese Kids meinen es ernst. Und dann dieser Gesang: das Kopfschütteln über den Wahn der Welt, die Verzweiflung, Wut und der erschöpfende Zwang, sich mit aller Kraft und dem ganzen Gewicht des eigenen Körpers gegen den Stumpfsinn des Lebens zu werfen, manifestieren sich in einer Reibeisenstimme, so kraftvoll, dass es einen packt und mitschleift – über rauen Beton.
Doch die Band ist bald unzufrieden mit dem Sound der LP. Etwas Neues muss her. Im Sommer 2006 geht es erneut auf Tour, zum ersten Mal mit einem Konzert auf dem legendären Fluff Fest, dem tschechischen Pilgerort der europäischen Szene. Diesmal noch, weil sie kurzfristig eine abgesprungene Band vertreten dürfen. Wegmarken einer rasanten Entwicklung. Das Fluff Fest ist begeistert, die Aufmerksamkeit wächst. Schließlich klopft das Schicksal an die aufgestoßene Tür: Ob sie nicht vielleicht Have Heart auf der Europatour supporten wollen? Jetzt muss erst recht was Neues her. In kurzer Zeit entstehen gegen Jahresende vier neue Songs, die dann – wieder an nur einem Tag, aber diesmal in der Tonmeisterei in Oldenburg aufgenommen – schon im Dezember erscheinen (damals sind die Presswerke noch flott): Die Single »Wolves«, das bis heute wahrscheinlich wichtigste Release der Band. Drückender, aggressiver Hardcore, düster und brutal, immer nach vorne. Mit dieser Platte lässt man es vorerst bewenden.
In den folgenden Jahren tourt die Band so viel sie irgend kann, freundet sich mit Anchor aus Schweden und FC Five aus Japan an und teilt sich bald schon mit so ziemlich allen relevanten Bands dieser Zeit eine Bühne. Live, darum geht es: Abrissmaximierung, im Spiel mehr auf Energie als auf Technik gepolt. Das legendäre niederländische Label Reflections Records kommt auf sie zu. 2009 erscheint dort das Album »Beneath Aging Flesh and Bone«. Ritual sind spätestens jetzt in aller Munde.
2010 wird die Band zusätzlich geadelt, als sie von der legendären Band Unbroken, die im Übrigen ja den Bandnamen beeinflusst hat (»Ritual« ist auch der Titel des ersten Albums von Unbroken), eingeladen werden, auf deren Reunion-Konzert in London zu spielen. Zur gleichen Zeit erscheint die Single »Kissing Pavement«, die schon einen musikalischen Wandel ankündigt, dabei jedoch wie eh und je nach vorne prescht. Touren mit Soul Control, Ills, No Turning Back, Deal With It und Midnight Souls stehen an, die Band ist mittlerweile Dauergast auf dem Fluff Fest.
Auf dem letzten Album »Paper Skin« klingt die Jugendlichkeit ab. Der Wandel vollzieht sich, Ritual gewinnen eine neue Reife. Einflüsse machen sich bemerkbar, die den längst nicht mehr auf Hardcore begrenzten Musikgeschmack der Bandmitglieder reflektieren. Auf dem Album entfaltet sich ein progressiver Hardcore, der heute, wo Bands wie Turnstile die Massen mobilisieren, eine Wiederentdeckung verdient! Doch mit der gleichen juvenilen Energie kann die Band diese Songs nicht mehr live spielen. Im Herbst 2012, nach einer Abschiedstour mit Verse und Soul Control, löst die Band sich in einer Reihe explosiver Konzerte schließlich in freundschaftlicher Verbundenheit auf.
It’s better better to burn out than to fade away.
Doch Ritual hat in ihren Leben unauslöschliche Spuren hinterlassen. Auch nach der Auflösung machen die Mitglieder weiter Musik: Julian Laur de Manos gründet die Bands Orbit the Earth und Wire Love, Deni Pavicic steigt bei All the Ghosts ein. Pascal Wagner und Philipp Wulf gründen gemeinsam die Gruppe Messer, Wulf verdingt sich außerdem bei manch anderen Bands der gegenwärtigen Hamburger Schule. Doch die frische Verliebtheit ihrer ersten Band werden sie alle niemals vergessen.
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Over the course of seven years and like rarely any other band of their generation, Ritual demonstrated the liveliness of Hardcore in Germany and Europe. In the intensity of their music you could unmistakably hear what it still could mean to play in a band of punks in the new millenium: a deeply felt »NO« to all authorities and social constraints, which, in the end, cannot forever be escaped from – and at the same time a passionate life in the
wolfpack. In other words: a momentum of youth, of friendship. A hand full of releases now points back to long days and nights in rehearsal rooms, studios and the stages of Europe: The band has released three albums and three 7“ singles, played over 300 concerts in 19 countries and thereby established a very own sound, which even today is remembered longingly. Addressed to a scene in which vinyl was never extinct, and released in a time before streaming services and the limitless availability of music, some of their releases have until now never made it to the channels of distribution which are common today. Now the band is catching up on this together with their old label
Blacktop Records. This is reason enough for looking back on the band’s oeuvre and history …
In the early 2000s, still green behind the ears, four straight edge kids in the Ruhr area begin to live out their shared passion for 90ies hardcore bands such as Unbroken, Snapcase, Refused and Chokehold. In summer 2005, this band becomes Ritual: The first single »One Foot in the Grave«, which is recorded in Cologne on one day only, captures the enthusiasm of the 17- and 18-year olds. Ritual quickly gain speed. The first show the four play under this name is also the kick-off for their first tour. A liberation: The constrictions of growing up in Recklinghausen are repealed. The door out and into a scene which makes regional borders disappear is now open.
In spring 2006, the band already works on the first LP: »Precious Times« is produced at Blubox studio in Troisdorf and is recorded live onto analogue tapes. A clanging expression of
teenage angst whose sound reveals the fact that a dream has just been realized in the shape of a first own album. The title is also evidence of this, as it seemingly commemorates a youth crew pathos, which remained rather unusual for the band. Continually, they experience the participation in a complex scene as a picture puzzle: While not wanting to make common cause with the Ruhr area’s tough guy scene, their moshparts make the violent dancers green with envy. They take the respect with pleasure. Each and every one understands: These kids are serious about what they do. And then there are those vocals: A shake of the head about the delusion of the world, the despair, the anger and the exhausting compulsion to throw oneself against the boredom of life with your whole body – they all manifest themselves in a rasping voice, so powerful that it grabs and drags you – over rough concrete.
But the band soon is unhappy about the LP’s sound. Something new must be done. In summer 2006, the band is on tour again, playing renowned Fluff Fest for the first time, the Czech pilgrimage site for the European scene. This time, because they are allowed to replace a band that had cancelled on short notice – landmarks of a rapid development. Fluff Fest is delighted, the attention grows. Then fate is knocking on the open door: If they would like to support Have Heart on their upcoming tour? Now something new must be created even more urgently. In a short time towards the end of the year, four new songs emerge, which then are recorded on only one day again, this time at Tonmeisterei in Oldenburg. They get released in December 2006 already (at that time the pressing plants were quick still): the 7” single »Wolves«, probably the most important release of the band even until today. Haunting, aggressive hardcore, dark and brutal, always pushing forward. With this record at hand the band is able to stop writing new songs for a while.
In the following years, the band tours as much as it can, makes friends with Anchor from Sweden and FC Five from Japan and soon shares a stage with pretty much all the relevant bands of the time. Live – that’s what it’s all about: Maximizing demolition, being more focused on energy than on technique. The legendary Dutch label Reflections Records approaches the band and releases the album »Beneath Aging Flesh and Bone« in 2009. Now at the latest, the European scene is talking about Ritual.
In 2010, the band is ennobled additionally, when the legendary band Unbroken, which influenced the band’s name by the way (»Ritual« is also the title of the first Unbroken album), invites them to play on their reunion concert in London. At the same time, the single »Kissing Pavement« is released, which announces a musical change while still dashing forward relentlessly. Tours with Soul Control, Ills, No Turning Back, Deal With It and Midnight Souls are scheduled and the band is now a permanent guest at Fluff Fest.
On the last album »Paper Skin«, the youthfulness wears off. A change takes place, Ritual gain new maturity. Influences become noticeable which reflect the band members’ musical taste no longer limited to Hardcore. On this album, a progressive hardcore unfolds, which deserves a rediscovery in a time and age when a band like Turnstile mobilizes huge masses. But the band is no longer able to perform these songs live with the same juvenile energy. In autumn 2012 after a farewell tour with Verse and Soul Control, the group disbands on cordial terms in a series of explosive concerts.
It’s better better to burn out than to fade away.
But Ritual has left its mark on their lives. After the break-up the members continue to play music: Julian Laur de Manos starts Orbit the Earth and Wire Love, Deni Pavicic becomes part of All the Ghosts, Pascal Wagner and Philipp Wulf found the group Messer together and Wulf also joins some bands from the present Hamburg school. Yet, the profoundness of their first love can never be forgotten.